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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 4 U 50/04
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 85 | |
ZPO § 85 Abs. 2 | |
ZPO § 233 | |
ZPO § 234 | |
ZPO § 520 Abs. 1 | |
ZPO § 520 Abs. 2 | |
ZPO § 522 Abs. 1 |
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS
4 U 50/04 Oberlandesgericht Naumburg
In dem Berufungsrechtsstreit
...
wegen Versicherungsprämien
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 8. Juli 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Klußmann, des Richters am Oberlandesgericht Feldmann und der Richterin am Oberlandesgericht Mertens
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. März 2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Halle wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 7.077,36 Euro festgesetzt.
Gründe:
Der Beklagte hat gegen das ihm am 26. März 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts Halle mit am 26. April 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit am 26. Mai 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um drei Wochen bis zum 14. Juni 2004 zu verlängern. Der Vorsitzende des beschließenden Senats hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 9. Juni 2004 verlängert. Diese Verfügung wurde dem Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 3. Juni 2004 zugestellt. Nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hat der Beklagte seine Berufung mit am 15. Juni 2004 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Nach Hinweis des Vorsitzenden vom 16. Juni 2004, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sei, beantragt der Beklagte mit am 18. Juni 2004 vollständig eingegangenem Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Begründungsfrist. Sein Prozessbevollmächtigter führt zur Begründung aus, aufgrund eines Büroversehens sei im Fristenkalender der Kanzlei fehlerhaft nicht Mittwoch, 9. Juni, sondern Mittwoch, 16. Juni 2004, als Termin des Ablaufs der Frist zur Einreichung der Berufungsbegründungsschrift eingetragen worden. Die Verlängerungsverfügung des Oberlandesgerichts sei ihm vorgelegt worden. Er habe die Büroangestellte B. Sch. angewiesen, die vom Oberlandesgericht gewährte Frist in den Fristenkalender einzutragen. Irrtümlich habe diese die Frist jedoch nicht auf Mittwoch, den 9. Juni 2004, sondern auf eine Woche später eingetragen. Die Büroangestellte habe angegeben, vermutlich beim Umblättern der Seiten des Fristenkalenders sich versehen zu haben, so dass der Termin irrtümlich falsch eingetragen worden sei. Die Handakte sei ihm am Morgen des 15. Juni 2004 vorgelegt worden. Er habe die Berufungsbegründungsschrift gefertigt, die dem Oberlandesgericht am selben Tage per Telefax übermittelt worden sei. Die Überwachung von Notfristen sei bei ihm so organisiert, dass durch den zuständigen Rechtsanwalt die schriftliche Anweisung erfolge, welche Termine als Notfristen im Fristenkalender zu notieren seien. Bei gerichtlichen Schreiben über die Verlängerung von Notfristen werde dies ebenfalls so gehandhabt und der entsprechende Termin auf dem Schreiben notiert und graphisch hervorgehoben. Die Büroangestellte sei angewiesen, ihm spätestens am Morgen des Vortrags vor Fristablauf die Akte mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Ablauf der jeweiligen Frist vorzulegen. Frau Sch. sei eine erfahrene Mitarbeiterin, die bereits seit 1987 als Anwaltssekretärin tätig sei.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig, er ist insbesondere rechtszeitig innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden, § 234 ZPO. Sachlich ist der Antrag jedoch nicht begründet. Der Beklagte war nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, § 233 ZPO. Denn die Fristversäumnis beruht auf einem Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich der Beklagte gemäß § 85 Abs.2 ZPO zurechnen lassen muss.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass Versehen der Mitarbeiter des bevollmächtigten Rechtsanwalts der Partei selbst nicht gemäß § 85 ZPO zur Last fallen, wenn eigenes Verschulden dieses bevollmächtigten Rechtsanwalts ausscheidet; es scheidet dann aus, wenn er seinen Weisungs- und Überwachungspflichten nachgekommen ist (Zöller/Greger, ZPO, § 233 Rn. 23 "Juristische Hilfskräfte", "Fristenbehandlung" m.w.N.). Hier aber scheitert die Wiedereinsetzung bereits daran, dass eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegt. Der beschließende Senat geht davon aus, dass die Fristversäumung auf einem eigenen Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, das sich der Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Mithin war dieser entgegen § 233 ZPO nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.
Vorliegend ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände davon auszugehen, dass die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht geeignet ist, die Einhaltung von Notfristen sicherzustellen. Ein Organisationsverschulden ist deshalb anzunehmen, weil selbst mit der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung und dem Antragsvorbringen nicht dargetan ist, dass die Kanzleiorganisation des Prozessbevollmächtigten des Beklagten den Anforderungen an eine gesicherte Fristenkontrolle bei beantragter Fristverlängerung genügt.
Insbesondere hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seine Mitarbeiter offensichtlich nicht angewiesen, den Fristkalender sorgfältig zu führen. Dies ergibt sich aus den dem Antrag beigefügten Ablichtungen des Fristenkalenders. Mit flüchtiger, schwer lesbarer Schrift findet sich unter dem Datum des 16. Juni 2004 folgender Eintrag: "SSF OLG Naumburg H. ./. C. Berufbegr". Die Fristwahrung ist aber durch Führen eines Fristenkalenders und Notierung der Fristen auf den Handakten zu sichern. Not- und Rechtsmittelfristen sind deutlich hervorzuheben (BGH, NJW 1989, 2393). Diesen Anforderungen genügt der vorliegend in Rede stehende Fristenkalender offensichtlich nicht. Eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt in diesem Zusammenhang vor, weil er seine Mitarbeiter nicht ausreichend überwacht und angewiesen hat. Zwar sind an diese Pflichten bei Tätigkeiten einer langjährigen Mitarbeiterin mit mehrjähriger Berufserfahrung geringere Anforderungen als bei Tätigkeiten beispielsweise einer noch unerfahrenen Kraft; es besteht aber dann eine erhöhte Pflicht zur Arbeitsanweisung, wenn - wie vorliegend - der Umgang der Mitarbeiterin mit wichtigen Fristen offenbar nicht sorgfältig genug erfolgt.
Ferner existiert im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten bereits nach seinem eigenen Vorbringen keine allgemeine Anweisung, Vorfristen einzutragen. Vielmehr ist es dort üblich, die Akten einen Tag vor dem notierten Fristablauf vorzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, muss ein Rechtsanwalt aber jedenfalls für Rechtsmittelbegründungsfristen veranlassen, dass Vorfristen notiert werden (BGH, NJW 2000, 365, 366). Ob diese sich über 4 Tage oder eine Woche vor dem eigentlichen Fristablauf erstrecken müssen, kann dahinstehen. Vorliegend hätte jedenfalls eine Weisung des Prozessbevollmächtigten an seine Büroangestellten, bei Rechtsmittelbegründungsfristen jeweils eine Vorfrist einzutragen, dazu geführt, dass der Fehler der Eintragung von der hier tätigen Mitarbeiterin hätte bemerkt werden können. Nach ihrem Vorbringen will sie sich letztlich beim Umblättern der Seiten des Fristkalenders geirrt haben. Hätte sie ergänzend zu dem vermeintlichen Fristende eine einige Tage vorher anzusetzende Vorfrist eingetragen, wäre ihr aufgefallen, dass sie nicht den in der Verlängerungsverfügung des Vorsitzenden genannten 9. Juni 2004 als Fristende notiert hatte, sondern den 1 Woche später liegenden 16. Juni 2004.
Nach alledem kann dahinstehen, ob es der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bei Fertigung der Berufungsbegründungsschrift am 15. Juni 2004 versäumt hat, sich über den Fristverlauf zu informieren. Grundsätzlich muss der Prozessbevollmächtigte ungeachtet der Möglichkeit, die Berechnung der Fristen zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokräften zu überlassen, den Fristablauf nämlich dann eigenverantwortlich nachprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird, und zwar spätestens bis zum nächsten Tag nach Vorlage (BGH Beschluss vom 5. März 2002 - IV ZR 286/01 -; BGH NJW 2000, 365; NJW 1992, 1632; VersR 1981, 551; VersR 1977, 255; Zöller/Greger, a.a.O., "Fristenbehandlung", dort Fristensicherung). In diesem Fall stellt nämlich die Nachprüfung der Frist keine Büroarbeit dar, von der er sich freimachen darf; denn er hat die Akten ohnehin in der Hand, so dass es ihm keine Mühe macht, die gesetzlichen Voraussetzungen, von der die Zulässigkeit der beabsichtigten Prozesshandlung abhängt, selbst festzustellen.
Vorliegend lässt auch der weitere Umstand, dass die Fristversäumung erst nach einem Hinweis des Gerichts bemerkt worden ist, den Rückschluss darauf zu, dass die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht den Anforderungen genügt, die an eine sorgfältig arbeitende Anwaltskanzlei zu stellen sind. Da nicht auszuschließen ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründungsschrift gefertigt hat, obgleich er den Fristablauf bereits bemerkt hatte, war der Senat indes gehindert, diese Vorgänge bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.
Da der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten keinen Erfolg hat, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Denn sie ist entgegen § 520 Abs. 1 und 2 ZPO nicht innerhalb der bis zum 9. Juni 2004 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, sondern erst am 16. Juni 2004 begründet worden, § 522 Abs. 1 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Sie umfasst auch die durch die Wiedereinsetzung verursachten Kosten.
Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 2, 3 ZPO.
Ende der Entscheidung
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